Eine Bewegung, die Wesentliches zur Entwicklung der Frauen in der Schweiz beigetragen hat.
Von Sandra Maissen / Cosinus, ehemalige Präsidentin der PBS (1999–2003)
Die Ideen der Pfadibewegung verbreiteten sich rasch in der Schweiz und so entstanden ab 1913 unabhängig voneinander, an verschiedenen Orten, Mädchenbünde, die nach dem Vorbild der Pfadfinderinnen zu leben versuchten. Als gemeinsame Grundlage dienten die Schriften Baden-Powells. Im Juni 1917 fand in Lausanne eine erst Aussprache unter den Mädchenbünden statt. Es galt herauszufinden, was in den Satzungen als wirklich gemeinsam festzulegen wäre, um einen Zusammenschluss zu ermöglichen. Dabei waren alle einig darüber, dass der Rahmen möglichst weit gespannt sein müsse, damit sich die verschiedenen Mitglieder einordnen konnten ohne das Gefühl zu haben, es werde ihnen Fremdes aufgedrängt, oder für sie Wesentliches unterdrückt. Die Ergebnisse der eingehenden Diskussionen wurden in ein Heft geschrieben. Dabei wurden viele Seiten leergelassen für die Meinungsäusserungen aller und das Heft wurde auf eine Rundreise von Stadt zu Stadt gesandt, welche fast eineinhalb Jahre dauerte. Die leeren Seiten hatten sich gefüllt und es war viel Kritik dabei. Mit bewundernswerter Zuversicht schickte die Zuständige das ominöse Heft nochmals auf Reisen und bat alle Beteiligten um ihre Vorschläge über die Art und Weise, wie trotz der Meinungsverschiedenheiten eine Einigung erzielt werden könnte.
Gründung und Festigung
Am 5./6. Oktober 1919 schliesslich, kurz nach dem Ende des ersten Weltkrieges, gründeten 9 «Mädchenvereinigungen» (Basel, Bern, Genf, Lausanne, Le Locle, Neuenburg, Villeneuve und Winterthur; Zürich liess sich entschuldigen) in Bern die Fédération des Eclaireuses Suisses, zu Deutsch damals Bund Schweizerischer Mädchenvereine, einige Jahre später Bund Schweizerischer Pfadfinderinnen (BSP). Der Bund stand die ersten gut fünfzig Jahre unter der Leitung von Frauen aus der Romandie: Nach Yvonne Achard aus Genf übernahm nach 20 Jahren Thérèse Ernst, Kantonsführerin aus dem Waadtland, die nicht leichte Aufgabe und lenkte mit Geschick das Schweizerische Pfadi-Schiff durch die Fährnisse der Kriegszeit. 1957 legte sie das Amt der Bundesführerin in die Hände von Perle Bugnion-Secrétan, welche seit 1950 den Weltbund der Pfadfinderinnen an der UNO in Genf vertreten hatte. 1967 übernahm Blanche Bachmann – de Mariniac für vier Jahre, bevor 1971 bis 1979 die Glarnerin Sibylle Kindlimann das Amt der Bundesführerin ausfüllte und anschliessend bis 1983 auch als Präsidentin des BSP amtete. Von 1979–1984 war Claire Renggli aus St. Gallen Bundesführerin. Auf sie folgte Verena Schär, Thurgau / Bern, welche als letzte Bundesführerin des BSP und anschliessend als erste der PBS amtierte (1984–1989). Letzte Präsidentin des BSP vor der Fusion war ab 1983 Marianne Rindlisbacher aus Bern.
1922 entstand die offizielle Zeitschrift, das Rot-Weisse Kleeblatt. Der BSP war Gründungsmitglied des Weltbundes der Pfadfinderinnen (1928). In Hinblick auf den Eintritt in den Weltbund mussten Gesetz und Abzeichen in das rot-weisse Kleeblatt geändert werden. Gleichzeitig wurde neu auch das Versprechen in die Statuten aufgenommen. Ein wichtiger Aspekt der internationalen Beziehungen des BSP war das «Our Chalet» in Adelboden. Mrs. J. Storrow, eine Amerikanerin, schenkte dem Weltbund der Pfadfinderinnen dieses Zentrum zur Verbreitung des Pfadigedankens und des guten Willens zwischen den Völkern. 1932 wurde das Chalet, als erstes von vier Weltzentren der Pfadfinderinnen eröffnet und während der ersten 20 Jahren von der Schweizerin «Falk» (Ida von Herrenschwanden) geleitet.
Um die Arbeit der Abteilungen in eine einheitliche Richtung zu lenken, wurden die Prüfungen (Jungpfadi-, II. und I. Klass-Examen) festgelegt. – In der Kriegszeit organisierten verschiedene Abteilungen Landdienstlager und zusammen mit dem Roten Kreuz Erholungslager für kriegsgeschädigte Kinder. Pfadfinderinnen ab 18 Jahren wurden zum Dienst in der Freiwilligen Sanitätshilfe verpflichtet und fanden als sogenannte Rotkreuz-Pfadfinderinnen ein vielseitiges Betätigungsfeld. Anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums Ende 1944 umfasste der BSP 131 Pfadfinderinnen-Abteilungen mit insgesamt 8109 Mitgliedern. 1957 hatte der BSP bereits rund 11’000 Aktive.
Frauen übernehmen Verantwortung
Die Ausbildung der Führerinnen war eines der wichtigsten Anliegen des BSP. Zur Ausbildung des Kaders wurden Spezialistinnen und später Schweizerische Beraterinnen berufen, die mit Rat und Tat den jungen Führerinnen beistanden. Schweizerische Ausbildungslager wurden zur Tradition. Gesamtschweizerische Treffen entsprachen einem Bedürfnis und schufen viele beglückende Beziehungen. Sie gaben jungen Führerinnen aus allen Abteilungen ab 17 Jahren die Möglichkeit der demokratischen Mitwirkung; das war einmalig! Nach dem Prinzip «Junge führen Junge» wurde den jungen Leiterinnen bewusst sehr früh Verantwortung und Mitspracherecht übergeben. So konnten junge Frauen Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten gewinnen.
1957 im ersten Bundeslager versammelten sich 6’300 Pfadfinderinnen aus 28 Ländern in 10 Lagerdörfern im Goms, um des 100. Geburtstages ihres Gründers zu gedenken. Anlässlich seines 50-jährigen Bestehens führte der BSP 1969 ein Jubiläumsbundeslager im Bleniotal durch. – Der Überschuss des Gomser-Lagers wurde Ende der 50er Jahre in ein Lagerhaus und ein Ausbildungszentrum im Calancatal investiert. Dort sollten fortan jeden Sommer (bis 1987) nationale Ausbildungslager der Schweizer Pfadfinderinnen stattfinden. Der BSP als reine Mädchen- und Frauenorganisation eröffnete – zu einer Zeit, wo man(n) ihnen anderswo wenig zutraute – jungen Frauen die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, Gruppen zu führen, Ziele gemeinsam zu erreichen, sich spezifisch weiterzubilden und sich auszutauschen, auch international. Kein Wunder waren in dieser Zeit viele Pfadfinderinnen engagiert für die Besserstellung der Frauen, die Einführung des Frauenstimmrechts und die Gleichberechtigung der Geschlechter. So engagierte sich Perle Bugnion-Secrétan unter anderem für das Monatsheft «féministe Femmes suisses. Die Pfadfinderinnen stellten die erste Präsidentin der Schweizerischen Gemeinschaft der Jugendverbände (SAJV); die erste Rektorin eines Gymnasiums in Zürich etc. Die erste Bundesrätin (1984–1989) war eine Pfadfinderin ebenso wie die erste Präsidentin des Ständerates, Josi Meier aus Luzern (1992). Unter den frühen Politikerinnen, die von der Öffentlichkeit besonders genau beobachtet wurden, waren viele (ehemalige) Pfadfinderinnen. Sie hatten im BSP, die Möglichkeit erhalten, – ohne Einfluss der Männer – sich in der Übernahme von Verantwortung zu üben und führende Positionen zu bekleiden.
Fusion zur Pfadibewegung Schweiz (PBS)
Ende der 70er Jahre stellte sich die Frage, ob der Bund Schweizerischer Pfadfinderinnen (BSP) und der Schweizerische Pfadfinderbund (SPB) nicht enger zusammenarbeiten oder sogar zusammengehen sollten. Aus Sicht des BSP war es wichtig, sich im Rahmen eines Grossprojektes vorerst anzunähern. So organisierten BSP und SPB gemeinsam das Bundeslager / BuLA 80 im Greyerzerland. 1982 schlossen BSP und SPB eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit ab, bestimmten je ihre 10 Vertreter/innen in der Fusionskommission und nahmen unter kundiger Co-Leitung Fusionsverhandlungen auf. Aus Sicht des BSP war entscheidend, dass in einem fusionierten Verband weiterhin Frauen gleichberechtigt (und anzahlmässig ebenbürtig) Leitungsfunktionen übernehmen sollten. So wurden statutarisch für alle wichtigen Funktionen (z.B. Präsidium, Bundesführer/in, Kantonsleiter/innen, internationale Verantwortliche etc.) Doppelbesetzungen, für Geschlechter- und Sprachausgleich eine Drittels-Quote vorgesehen. Auch die Möglichkeit einer doppelten Mehrheit (weiblich / männlich) wurde für wichtige Fragen in den Statuten festgeschrieben. Die sogenannten «Fusionspakete» wurden ab 1985 in allen Abteilungen und in den nationalen Konferenzen engagiert diskutiert. In immer mehr Bereichen, wie Ausbildung, Führer/innen-Zeitschrift, gemeinsame Arbeitsgruppen, usw. wurden die Zusammenarbeit praktiziert und viele nützliche Erfahrungen gesammelt. Der Druck der Abteilungen auf nationaler Ebene zu fusionieren, stieg. Dies jedoch mit der ausdrücklichen Freiheit für die Abteilungen, selbst weiterhin geschlechtsspezifisch oder (in einigen Stufen) in Koedukation zu funktionieren. Schliesslich wurden im Mai 1987 in Luzern parallel stattfindende Fusions-GV des BSP und des SPB abgehalten. Die Auflösung der Bünde wurde besiegelt – teilweise wohl mehr aus Vernunft als mit dem Herzen – und gleichzeitig die Pfadibewegung Schweiz (PBS) gegründet, der grösste Jugendverband der Schweiz mit damals rund 60’000 Mitgliedern (15’000 BSP, 45’000 SPB).
Die eidgenössische Kommission für Frauenfragen hatte der PBS zu den modellhaften Statuten Ende der 80er Jahre gratuliert. – Ob die BSP-Anliegen der Fusion in der PBS umgesetzt werden? Sie bleiben eine Herausforderung, doch die Doppelbesetzung für wichtige Funktionen ist in die DNA der PBS übergegangen, das Bewusstsein, dass sich Leute aus allen Landesteilen national engagieren sollten, ist vorhanden, und die demokratische Mitwirkung ist selbstverständlich. Internationales Engagement in den beiden Weltpfadiverbänden und in Partnerschaftsprojekten spielen immer noch eine Rolle und auch Pfadianliegen in der Jugendpolitik werden weiterhin vertreten. Weitere Bundeslager haben 1994 und 2008 stattgefunden; das nächste, 2021 in Goms, ist in Planung. Und nicht zuletzt spielt auch die kantonale und Ausbildung auf Bundesebene der zahlreichen jungen, ehrenamtlichen Leiterinnen und Leiter eine entscheidende Rolle. 2018 zählte die PBS rund 47’000 aktive Mitglieder (ca. 26’000 Knaben, ca. 21’000 Mädchen) und ist damit immer noch der grösste Jugendverband der Schweiz. Die PBS hat den Errungenschaften der Fusion in den letzten 30 Jahren insgesamt Sorge getragen und tut gut daran, sich auch künftig darum zu bemühen. Gratulieren wir also stolz zum 100-jährigen Jubiläum des BSP!